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Guerilla-Morgestraich während der Coronavirus-Krise...

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Es ist so traurig, dass wir sogar einen Artikel aus fremden Federn abbilden, soweit musste es kommen,,, 

Artikel der NZZ vom 2.3.2020 Guerilla-Morgestraich während der Coronavirus-Krise: Die Basler feiern ihre «FasNicht»

Sie sangen, statt zu pfeifen und zu trommeln: Die Basler Fasnacht wurde wegen der Coronavirus-Epidemie zwar abgesagt. Dennoch versammelten sich zahlreiche Fasnächtler Punkt vier Uhr morgens in der Altstadt zu einem leisen und unorganisierten Happening.

Ist es verboten, nachts um vier in einem eigenartigen Gewand und mit einer Larve unter dem Arm durch die Basler Altstadt zu spazieren? Wer jedenfalls geglaubt hat, dass sich die Baslerinnen und Basel nur wegen eines unbekannten Virus ihren Morgestraich nehmen lassen, sieht sich an diesem Montagmorgen getäuscht: Hunderte, wenn nicht gar über tausend strömen frühmorgens in die kalte Stadt, wo Schlag vier Uhr eigentlich die «drey scheenschte Dääg» beginnen sollten. Am Freitag ist aus diesem Basler Traum ein Albtraum geworden. Und es bleibt nichts anderes übrig, als statt Fasnacht wenigstens die «FasNicht», so gut es geht, zu feiern. Ist das verboten, solange die Stadt nur ähnlich bevölkert ist wie an einem gewöhnlichen Shopping-Samstag?

 

Am Sonntag hatte sich der Guerilla-Morgestraich in den sozialen Netzwerken und diversen Whatsapp-Gruppen leise angekündigt. Und als am Nachmittag in Liestal trotz abgesagtem Umzug gefeiert wurde und die Baselbieter Regierung am Abend mit einem Ausschankverbot reagieren musste, war rasch klar: So ruhig wie geplant wird dieser Nicht-Morgestraich auch in Basel kaum über die Bühne gehen. Auf dem Marktplatz versammeln sich nun Hunderte, viele haben Windlichter aufgestellt, die einen traurigen Ersatz für die Ladärne darstellen. Man steht in Gruppen zusammen, plaudert, trinkt vielleicht Büchsenbier.

Die Menge singt den «Morgestraich»

Kurz vor dem Glockenschlag wird es ruhig auf dem Marktplatz, die Gespräche verstummen. Dann schlägt es vier, die Menge jubelt – so wie man es sonst vom Morgestraich kennt. Die Strassenbeleuchtung aber geht nicht aus – genau so hatte es die Basler Regierung angekündigt. Und statt Trommelwirbeln und Piccoloklängen zu lauschen, beginnt der ganze Platz, den «Morgestraich» zu singen, jenen Marsch also, mit dem die Fasnacht traditionellerweise eröffnet wird. Es herrscht eine merkwürdig fröhliche und doch traurige Stimmung: Jetzt wäre der Moment, in welchem Tausende von Piccolos, Trommeln und Laternen Strassen und Plätze in ein scheinbar unendliches und an Intensität nur schwer zu übertreffendes Meer aus Klängen, Bildern und Stimmungen aller Art tauchten. Der brüchige Gesang, so tief er aus dem Herzen kommen mag, ist ein mehr als unvollständiger Trost.

Und doch sind der Charme der Basler Fasnacht, ihre Vielfalt und Kreativität unvermittelt spürbar. Zwischen Heuberg und Spalenberg radelt ein Velofahrer mit dunkler Sonnenbrille durchs Publikum. Auf den Gepäckträger hat er eine kleine Soundanalage geschnallt, aus der der «Arabi», «dr Gluggsi» und all die andern Fasnachtsmärsche ertönen. In der Gerbergasse marschiert im Takt und unkostümiert eine grössere Gruppe, vermutlich eine Clique, Richtung Barfüsserplatz und singt einen Fasnachtsmarsch nach dem andern. Ein älterer und distinguierter Herr spaziert unterdessen schweigend und alleine in einem schwarzen Gewand und mit einer Öllampe durch eine dunkle Gasse. Unter dem Arm trägt er eine Larve mit Vogelgesicht und langem Schnabel. So wird die Fasnacht überall angetönt, ohne dass sie wirklich da ist.

Unterwegs sind an diesem Morgen nicht Revoluzzer und Querulanten, sondern der Querschnitt der Basler Fasnachtsszene. «Ich bin nicht aus Protest hier», erklärt Daniela, die ihre Larve vor dem Rathaus auf den Boden gelegt hat und «jetzt einfach in der Stadt sein» will. Sie wisse, dass das trotzig wirken könne, doch darum gehe es nicht. Morgestraich sei einfach Morgestraich. Und doch ist der Unmut über das behördliche Verbot immer wieder spürbar. Mit «Präzisierungen» zum Veranstaltungsverbot hatte sich das Basler Gesundheitsdepartement am Freitag den Unmut vieler Fasnächtler zugezogen.

Die subversive Seite der Fasnacht

Darin heisst es, dass «sämtliche Veranstaltungen mit einem Bezug zur Fasnacht» untersagt werden, und zwar «unabhängig von ihrer Grösse». Das führte zum schwer verständlichen Ergebnis, dass Fasnachtsveranstaltungen in Kleintheatern abgesagt werden müssen, während andere Vorführungen der gleichen Grössenordnung erlaubt sind. Dasselbe gilt für Schnitzelbanggabende in den Beizen, die sonst aber geöffnet bleiben und ihre Gäste bewirten. Ganz offensichtlich befürchtet die Regierung, das Fasnachtsverbot ohne rigorose Regeln nicht wirklich durchsetzen zu können. Anders als Messen oder Sportveranstaltungen ist die Fasnacht nicht zentral organisiert, sondern sie findet einfach statt.

Doch die Anordnung scheint statt zu beruhigen eher die subversive Seite der Fasnacht zu wecken: «Das ist ja gerade so, als ob die Fasnacht für das Coronavirus verantwortlich wäre», erklärt ein Angehöriger einer grossen Traditionsclique, der an diesem Morgen ebenfalls unterwegs ist – «offiziell alleine», wie er sagt. Auch er betont, sich an die Regeln zu halten: kein Instrument, keine Requisiten, keinen Plan, keine organisierte Veranstaltung. Die Polizei ist an diesem unüblichen Morgestraich wohl überall präsent, doch sie hält sich zurück. Vorerst herrscht Ruhe, die Stimmung ist entspannt, auch bei den Beamten.

Wie es weitergeht? Auch das weiss an diesem Morgen niemand. Ganz sicher ist nur, dass die «drey scheenschte Dääg», so traurig sie für viele sind, an der Stadt auch in diesem Jahr nicht spurlos vorbeiziehen werden.

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